Weniger ist mehr – auch beim Atmen

von | 12.10.2023 | Archiv, Grundlagen, Praxis | 0 Kommentare

Yogis, buddhistische Mönche und chinesische Meister sind Vorbilder für eine perfekte Atemweise. Ihre Atmung ist mühelos, sanft und rhythmisch. Mit einfachen Mitteln ist das trainierbar.

Das Motto „Weniger ist mehr“ trifft aufs Fasten wie auf die Atmung zu. Allerdings müssen viele Menschen – im Gegensatz zum Fasten – erst einmal ihr Atemzugvolumen auf ein Normalmaß zurückführen und mehr Ruhe in ihr Atemmuster bringen, bevor sie dann die Vorzüge einer reduzierten Atmung für sich nutzen können. Eine konsequente Nasenatmung ist nicht nur eine Voraussetzung, sondern auch die beste und schnellste Methode, die Häufigkeit und Tiefe der Atmung zu reduzieren.

Die Religionen haben ihren Rhythmus

Langsamer und flacher zu atmen, ist dabei kein moderner Trend. Im Gegenteil: Die Meditation ist die bekannteste Form der Einflussnahme auf den Atemrhythmus. Das Sprechen von Gebeten ist eine weitere Form, die Atmung zu beruhigen. Ob Buddhismus, Taoismus oder Christentum, in vielen Kulturen und Religionen haben Gebete seit Jahrhunderten einen Sprechrhythmus, der zu einer Verlangsamung der Atemfrequenz führt. Das bekannteste buddhistische Mantra „Om mani padme hum“ zum Beispiel wirkt erwiesenermaßen genauso wie das katholische Rosenkranzgebet.

In einer italienischen Studie wurde beim Rezitieren von Gedichten und Mantras die Atemfrequenz bei den Teilnehmern gemessen. Bei der Auswertung zeigte sich eine nahezu gleiche Wirkung. Bei allen Teilnehmern reduzierte sich die Atmung auf durchschnittlich sechs Atemzüge pro Minute.

Was das heißt? Sechs Atemzüge pro Minute sind sozusagen ein „gesundes“ Maß, denn dann können alle Organe optimal arbeiten. In diesem Zustand der Kohärenz, wie der medizinische Fachbegriff für diesen Zusammenhang lautet, kommt es zu einer Synchronisierung der Abläufe im Organismus. Der Herzschlag und die Steuerung des Nervensystems sind perfekt aufeinander abgestimmt. Das fördert wiederum die Entspannungs- und Erholungsfähigkeit im Körper.

Auch die Dichter geben den Takt vor

Eine wohltuend-heilsame Wirkung, die sich eben auch mit Gedichten erzielen lässt. Entscheidend ist ihr Rhythmus, der vor allem durch das Metrum bestimmt wird – also in welchem Sprechmuster sich betonte und unbetonte Silben abwechseln. Vielleicht erinnern Sie sich an den Deutschunterricht und wie Sie damals das Versmaß von Texten bestimmen mussten? Am bekanntesten sind die beiden zweisilbigen Gegenspieler Jambus und Trochäus sowie die Dreisilber Daktylus und Anapäst. Andere Sprachen kennen noch weitere Basis-Versmaße mehr.

Vielfach verbinden sie sich zu größeren Versmaßen wie etwa dem Hexameter, dem klassischen Versmaß der epischen Dichtung. Dort wechseln sich sechs Daktylen und damit kurze und lange Silben nach einem bestimmten Rhythmus ab, was – und da sind wir dann wieder beim Thema – auch zu einem Zusammenspiel von Atmung und Herzschlag führt. Wenn Sie es ausprobieren möchten: Homers „Ilias“ und seine „Odyssee“ setzen ebenso auf dieses Sechser-Versmaß wie Goethes „Reinecke Fuchs“. Dessen „Römischen Elegien“ sind wie Schillers „Der Spaziergang“ weitere Beispiele, ebenso Mörikes „Idylle vom Bodensee“.

Um bei der Zahl sechs zu bleiben und wieder aufs Atmen an sich zu kommen: Die erwähnten sechs Atemzüge pro Minute sind als Mittelwert zu verstehen. Es gibt Menschen, bei denen die Kohärenz bei etwas weniger oder bei etwas mehr Atemzügen pro Minute einsetzt. Allerdings ist viel Geduld nötig, wenn man seine Atmung nur über Meditationen oder das Aufsagen von Gebeten und Gedichten langsam herunter regulieren möchte. Aber jeder sollte es einmal ausprobieren. In der heutigen Zeit des Überflusses und der Hektik ist das Sprechen eines Gebets oder Mantras auch ein gutes Mittel zur Rückbesinnung auf das Wesentliche.

Zeitgemäße Technik-Trainingspartner

Gebet und Gedicht liegen Ihnen nicht? Dann versuchen Sie es mit der Biofeedback-Methode. Für die Anwendung gibt es Einzelgeräte, leicht zu bedienende Apps oder Computerprogramme mit Spielecharakter. Bei allen Produkten wird während einer Atemübung die Höhe des Entspannungseffekts anhand des Herzschlags über einen Gerätesensor, Finger- oder Ohrclip gemessen – und bildlich dargestellt. Der Atemrhythmus wird vorgegeben, was den Einstieg erleichtert. So kann man sich schneller auf die Übung einlassen. Schon während der Übung kann auf dem Biofeedback-Gerät beobachtet werden, wie gut das Entspannen gelingt.

Eine andere Möglichkeit, die eigene Atmung live wahrzunehmen, bietet die App VaYou. Sie wandelt die Atmung in Klänge um, etwa Naturgeräusche oder Meditationssounds. Auf jeden Atemzug erfolgt eine akustische Rückmeldung in unterschiedlicher Lautstärke. Bei einigen Klangmodulationen variiert die Tonhöhe, je mehr Atmung und Herzschlag in Einklang sind. Abhängig vom Klanggeschehen ist es in der Atempause entweder still oder sie ist mit Lauten unterlegt wie etwa Klingeln oder Zirpen. Dafür wird das Smartphone zur Messung von Atmung und Puls im Liegen auf den Bauch gelegt oder im Sitzen in den Hosenbund gesteckt. Jetzt kann man sich entweder frei dem eigenen Atemfluss hingeben – oder eine geführte Atmung einstellen, ähnlich einer angeleiteten Meditation (Pacing).

Hier wie dort verändert sich bei regelmäßiger Anwendung das Atemmuster binnen weniger Wochen. Die Ruheatmung wird ausgeglichener und verlangsamt sich schließlich. Man fühlt sich, wie es ja auch das Ziel von Gebeten, Mantras und Meditation ist, wieder in der Balance. Und merkt: Weniger ist mehr – auch beim Atmen.

Buchtipp: „10 Atemzüge und nie wieder müde“ (19,99 Euro, GU Verlag) enthält viele Übungen und Tipps für die Umstellung von Mund- auf Nasenatmung – und wie man mit weniger Atemzügen trotzdem mehr Energie erhält.

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