IHT bei Querschnittslähmung

von | 17.04.2023 | Archiv, Praxis, Studien, Wirkung | 0 Kommentare

Mit einem Intervall-Hypoxie-Training (IHT) die Gehfähigkeit bei einer inkompletten Querschnittslähmung zu verbessern, ist möglich. Eine Studie macht Betroffenen Hoffnung und liefert Ärzten Angaben für die Durchführung des Hypoxie-Trainings.

„Wirkt das Intervall-Hypoxie-Training auch bei einer Querschnittlähmung?“ ist eine Frage von hoher Relevanz – insbesondere für etwa 59 Prozent der Betroffenen, bei denen das Rückenmark nicht komplett durchtrennt ist. Laut Studien besteht bei einer inkompletten Querschnittlähmung eine Wahrscheinlichkeit von 20 bis 75 Prozent, dass die Betroffenen eine Wiederherstellung der Gehfähigkeit erreichen können.

Eine Studie macht Hoffnung

Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, stößt man unweigerlich auf Professor Gordon S. Mitchell von der University of Florida. Er ist Professor für Neurowissenschaften und Gründer von BREATHE (Breathing Research and Therapeutics Center). Seine Forschungsarbeit widmet er der Nutzung der intermittierenden Hypoxie bei Motoneuron-Erkrankungen, wie ALS, und bei Rückenmarksverletzungen. Ich bin mir nicht sicher, an wie vielen Publikationen Professor Mitchell bzgl. der inkompletten Querschnittslähmung beteiligt war, es müssten über 100 sein.

Ich möchte in diesem Beitrag eine Studie vorstellen, bei der Professor Mitchell mitwirkte. Sie zeigt recht eindrücklich, was ein Intervall-Hypoxie-Training bei einer inkompletten Querschnittslähmung in Bezug auf die Gehfähigkeit bewirken kann. Das Studiendesign erfüllt die höchsten Ansprüche an eine wissenschaftliche Arbeit: Es ist eine randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert durchgeführte Überkreuz-Studie, die 2013 im renommierten Magazin Neurology erschien.

Das Studiendesign im Detail

Von 22 Teilnehmern mit einer inkompletten Querschnittlähmung haben die Studie 19 Personen abgeschlossen. Aufgenommen wurden Teilnehmer, die sich durch einen Unfall eine Verletzung zwischen dem 2. Halswirbel und dem 12. Brustwirbel zugezogen hatten, aber ansonsten gesund waren. Sie litten nicht unter Gelenkkontrakturen und ihre Hüft-, Knie- und Fußgelenke waren beweglich. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass sie einen Schritt ohne menschliche Unterstützung gehen konnten.

Die Teilnehmer wurden in 2 Blöcke mit jeweils 2 Gruppen eingeteilt. Im ersten Block wurden die Teilnehmer nur mit IHT oder einem Schein-IHT behandelt. Die dem 2. Block zugeteilten Teilnehmer mussten zusätzlich einen 30 Minuten dauernden Geh-Test 1 Stunde nach der IHT- oder Scheinbehandlung durchführen.

Alle Teilnehmer der 4 Gruppen erhielten an fünf Tagen hintereinander eine Behandlung. Danach pausierten alle Gruppen 2 Wochen, um dann das Training ein zweites Mal durchzuführen.

Als IHT-Protokoll wurde eine Hypoxie-Phase über 90 Sekunden mit einem Sauerstoffanteil in der Atemluft von 9 Prozent gewählt. Im Durchschnitt wurde eine Sauerstoffsättigung im Blut (Sp02) von 78 Prozent erreicht. Abgewechselt wurde die Hypoxie-Phase mit einer Normoxie-Phase von 60 Sekunden. Die tägliche Trainingseinheit umfasste 15 Zyklen.

Tests für die Bewertung der Gehfähigkeit

Bei allen Teilnehmern wurde während der gesamten Studiendauer die Gehgeschwindigkeit und die Ausdauerfähigkeit bewertet. Für die Beurteilung wurden gängige Tests bei inkompletter Querschnittslähmung verwendet. Die Geschwindigkeit wurde auf einer 10 Meter langen, geraden Strecke (normaler Boden, kein Laufband) gemessen. Für die Messung der Ausdauerleistung wurden 6 Minuten Gehzeit zugrunde gelegt.

Die Gehfähigkeit der Teilnehmer wurde während der Studie nachfolgendem Schema erhoben: vor Studienbeginn, nach dem 1. und 5. Trainingstag, nach der 1. und 2. Woche Pause und dann wieder nach dem 1. und 5. Trainingstag.

Die Ergebnisse der Studie

Die Studienteilnehmer, die mit IHT oder mit IHT inklusive Geh-Test behandelt wurden, konnten ihre Gehfähigkeit verbessern. IHT wirkte sich signifikant auf die Gehgeschwindigkeit aus. Bei der erreichten Steigerung der Gehausdauer war der Unterschied zwischen den IHT- und Schein-Behandelten nicht signifikant. Die Kombination von IHT und Geh-Test führte eher zu mehr Gehausdauer als zu mehr Gehgeschwindigkeit.

Wenn man sich die Ergebnisse im Detail anschaut, dann fällt auf, dass einige Teilnehmer besonders gute Fortschritte machten. Für verlässliche Aussagen wurden die extremen Ergebnisse in der statistischen Auswertung bereinigt. Auch nach der Bereinigung war die Schlussfolgerung, dass das Intervall-Hypoxie-Training zu einer Verbesserung der Gehfähigkeit führte.

Alle Teilnehmer haben das Intervall-Hypoxie-Training gut vertragen. Es sind bei ihnen keine Nebenwirkungen aufgetreten.

Mein Fazit zur Studie “Daily intermittent hypoxia enhances walking after chronic spinal cord injury: a randomized trial”

Wenn es noch eine Restfunktion bei einer Querschnittlähmung gibt, lohnt sich ein Intervall-Hypoxie-Training. Jeder Betroffene sollte die Chance nutzen. Ich würde aufgrund der Studienergebnisse die Empfehlung auch auf Schlaganfallpatienten mit Lähmungserscheinungen ausweiten.

Den Protokollaufbau in der Studie empfehle ich für die Praxis nur unter Vorbehalt. Der Grund: Die Studienteilnehmer waren bis auf die inkomplette Querschnittslähmung gesund. Keine Krankheiten zu haben, ist die Voraussetzung für ein solches Protokoll. Eine andere Voraussetzung ist die Begrenzung auf fünf Tage. Der Gefahr einer stimulierten Apnoe kann so vorgebeugt werden.

Ein tägliches Intervall-Hypoxie-Training kann bei gesunden Anwendern mit Rückenmarksverletzung die Hypoxiewirkung „pushen“. Nach den fünf Tagen empfehle ich eine Pause von 1 bis 2 Wochen. Es folgt eine Trainingsplanung mit 1 bis 2 Einheiten pro Woche mit einem klassischen Protokollaufbau: 4 Zyklen (z. B. 4 – 5 Minuten Hypoxie und 5 Minuten Normoxie bzw. 3 Minuten Hyperoxie) und einer Absenkung der Sauerstoffsättigung im Blut auf 83 – 85 Prozent während der Hypoxie-Phase. Eine Wiederholung der Trainingseinheit nach dem Vorgehen von Professor Mitchell halte ich nach einem Monat wieder für möglich.

Anwendern mit inkompletter Querschnittlähmung und einer weiteren Erkrankung bzw. in einem reduzierten Allgemeinzustand sowie Schlaganfallpatienten trainieren nur mit einem klassischen Protokollaufbau mit 2 bis 3 Trainingseinheiten pro Woche.

Ein Gehtraining im Anschluss an das Intervall-Hypoxie-Training ist für alle Patienten sinnvoll.

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