Zum Abgewöhnen: Schlechte Atemangewohnheiten

von | 8.11.2022 | Archiv, Grundlagen, Wissenswertes | 0 Kommentare

Wir können bewusst schneller oder langsamer atmen, tiefer oder flacher Luft holen. Die meiste Zeit verlassen wir uns bei der Tiefe und der Anzahl unserer Atemzüge ganz auf unseren Körper. Doch Fakt ist: Viele von uns essen oft nicht nur zu viel, sie atmen auch dauerhaft zu viel.

Es ist völlig ungefährlich, mal zwei- bis dreimal so viel Luft als eigentlich nötig einzuatmen. Eine vorübergehende Erhöhung der Atemfrequenz und der Luftmenge, wie es z. B. beim Sport geschieht, stellt für den Körper kein Problem dar. Anders sieht es aus, wenn das über einen längeren Zeitraum geschieht, wie es etwa häufig bei chronischem Stress der Fall ist. Dann können sich schlechte Atemgewohnheiten folgenreich in unser Leben einschleichen.

Dabei war das mal ganz anders. Bei der Auswertung von zwei Dutzend medizinischen Studien aus dem Zeitraum zwischen 1929 und 2007 fanden Wissenschaftler heraus, dass sich das durchschnittlichen Atemvolumen innerhalb der letzten 50 Jahren verdoppelt hat. In den 1950er Jahren lag es noch bei etwa sechs bis sieben Litern pro Minute. Mittlerweile finden sich in vielen Studien Angaben, die gesunden Menschen Werte von über 12 Litern pro Minute im Ruhestand bescheinigen.

Wenn die Ausnahme zur Regel wird

Wenn ständig zu viel und zu häufig geatmet wird, passen sich die Atemrezeptoren im Körper Überangebot an – und übernehmen die sogenannte Überatmung als neues Atemmuster. Die Atmung gerät nachhaltig aus dem Lot, die angeborene Fähigkeit für das richtige Maß geht verloren. Mehr Luft einzuatmen, als der Körper braucht, wird zur (ungesunden) Normalität. Experten nennen diese Abweichung chronisches Hyperventilieren.

Was passiert? Übermäßiges Atmen erhöht die Sauerstoffaufnahme, zugleich wird viel Kohlendioxid ausgeatmet. Es entsteht ein Mangel in den Muskeln und Organen, obwohl im Blut ausreichend Sauerstoff gebunden ist. Dieser Zustand, wenn über die Atmung zu viel Kohlendioxid verloren geht, wird in der Medizin als Hypokapnie bezeichnet: Weil die Kohlendioxidmenge im Blut verringert ist, funktioniert in der Folge die Sauerstoffabgabe an die Zellen suboptimal. Weil den roten Blutkörperchen der Impuls oder besser gesagt in hinreichender Menge an Kohledioxid zum Austausch fehlt, um am richtigen Ort und zur richtigen Zeit Zellen mit Sauerstoff zu versorgen.

Wie es sich anfühlt und was passiert, wenn zu schnell und zu viel Kohlendioxid ausgeatmet wird, hat jeder bestimmt schon einmal beim Aufblasen eines Luftballons oder einer Luftmatratze mit eigener Lungenkraft erlebt: Das häufige und tiefe Ausatmen führt bei vielen zu Schwindelgefühlen und, wenn man nicht rechtzeitig aufhört, sogar zur Ohnmacht.

Wenn die Atmung überaktiv ist

Im Alltag versteckt sich ein von übermäßiger Atmung verursachter Kohlendioxidmangel hinter eher unauffälligen Symptomen. Zumindest am Anfang sind Beschwerden schwer zuzuordnen. Welche Veränderung diese Unterversorgung bereits nach kurzer Zeit auslösen kann, zeigt eine Untersuchung mit Menschen, die berufsbedingt als topfit gelten: Kampfpiloten. Sie hatten in dieser Studie nur für einen kurzen Zeitraum ihre Atmung beschleunigt. Danach verschlechterte sich die Leistungsfähigkeit einiger Teilnehmer um bis zu 30 Prozent. In einer anderen Testreihe konnte beobachtet werden, dass sich die Konzentrationsfähigkeit veränderte. Die Reaktionszeit der Teilnehmer verlängerte sich, zudem machten sie häufiger Fehler.

Heißt im Umkehrschluss: Eine Sauerstoffsättigung im Blut von bis zu 99 Prozent sagt noch gar nichts darüber aus, wie es um die Energieversorgung des Körpers bestellt ist. Dafür ist, wie schon angedeutet, rein die Sauerstoffabgabe aus den roten Blutkörperchen an die Zellen entscheidend. Wenn die vorhandene Kohlendioxidmenge jedoch dafür nicht ausreicht, wird die Abgabe behindert. Doch ohne eine passgenaue Sauerstoffmenge können Muskeln und Organe nicht so effektiv arbeiten, wie sie es eigentlich tun sollten.

Dies bleibt nicht ohne Folgen: Die Blutgefäße verengen sich, die Durchblutung wird schlechter. Bei den meisten Menschen reichen bereits ein paar Minuten „falschen“ Atmens aus, um die Blutversorgung im gesamten Körper, einschließlich des Gehirns, zu beeinträchtigen.

Wie der (kranke) Körper reagiert

An den Organen, wie beispielsweise dem Herz, kann man die Folgen einer chronischen Hyperventilation gut beobachten. Es gibt einige Studien an Herzpatienten, die belegen, dass die meisten zu intensiv, nämlich das Zwei- bis Dreifache eines normalen Atemzugvolumens, atmen.

Viele Symptome von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz oder Herzinfarkt lassen sich auf die Atmung zurückführen. Dass sich die Beschwerden über die Atmung genauso wieder rückgängig machen lassen, zeigt eindrücklich, welchen Einfluss sie auf unsere Herzgesundheit hat – und nicht nur auf die. Und wie wichtig es ist, sich tiefergehend mit seiner Atmung zu beschäftigen.

Das gilt zum Beispiel auch für Asthmatiker, bei denen die meisten selbst in Ruhe – also jenseits eines Anfalls – zwei- bis zweieinhalbmal mehr Luft als der Norm entsprechend einatmen. Vergleichbare Beobachtungen gelten zudem für Diabetiker, von denen viele ähnlich grundlos überatmen.

Was auf falsche Atemweise hinweist

Dabei gibt es eindeutige Hinweise, dass etwas beim Atmen falsch läuft – allen voran, dass zeitweise oder sogar dauerhaft durch den Mund statt die Nase geatmet wird. Meist geht das einher mit einem deutlichen Heben und Senken des Brustkorbs, weil durch die Mundatmung die Brustatmung aktiviert und so nicht tief genug in Bauch geamtet wird. In der Regel ist die Atmung daher sogar im Ruhestand hör- und sichtbar – statt flach und leise.

Und es kommt zu Begleiterscheinungen. „Überatmer“ schnarchen während des Schlafs oft oder haben Atemaussetzer. Viele bemerken Mundtrockenheit während der Nacht oder am nächsten Morgen. Auch ein häufiges Seufzen tagsüber spricht für die „falsche“ Vielatmung. Es kann zu Halsschmerzen oder (zusätzlichen) Atemwegserkrankungen kommen, auch Müdigkeit und Schwindel können auftreten.

Doch man hat es selbst in der Hand, hier Abhilfe zu schaffen: Atemübungen, die über einen längeren Zeitraum angewendet werden, helfen dabei, nachhaltig von der Mund- auf die Nasenatmung umzustellen. Und auch das zu schnelle Atmen kann man sich wieder abtrainieren. Zugegeben, es braucht etwas Durchhaltevermögen, um die schlechten Angewohnheiten wieder abzulegen. Doch ob es ums zu viel essen geht oder ums zu viel atmen – es lohnt sich.

Buchtipp:10 Atemzüge und nie wieder müde“ (19,99 Euro, GU Verlag) enthält viele Übungen und Tipps für die Umstellung von Mund- auf Nasenatmung – und Anregungen, damit die Atmung wieder den richtigen Rhythmus findet.


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