Was bringt mehr – eine intermittierende oder eine konstante Hypoxie?

von | Sep 7, 2022 | Archiv, Grundlagen, Nachgefragt, Praxis, Studien | 1 Kommentar

Eine Studie zeigt, dass der Wechsel mit einer Reoxigenierungsphase im Vergleich zu einer konstanten Hypoxie für die meisten Anwender besser ist. Es lohnt sich also, ein Protokoll für ein Intervall-Hypoxie-Training zu erstellen.

In der Praxis machen wir uns die Mühe, individuell angepasste Protokolle für unsere Patienten zu schreiben. Viel einfacher und schneller umzusetzen wäre eine konstante Hypoxie. Dass sich der Aufwand lohnt, die Hypoxiephase mit einer Reoxigenierungsphase abzuwechseln, zeigt die Studie “Pre-acclimation to altitude in young adults: choosing a hypoxic pattern at sea level which provokes significant haematological adaptations”. Es ist eine Einfachblindstudie, in der mit wiederholten Messungen, die adaptiven und maladaptiven Reaktionen des Körpers auf eine konstante und intermittierende Hypoxie untersucht wurden.

Von den drei Initiatoren der im Herbst 2021 veröffentlichten Studie ist mir nicht viel bekannt. Babara Tobin und Professorin Gillian Mary Claire Renshaw sind an der australischen Griffith University. Guillaume Costalat fällt mir immer wieder in wissenschaftlichen Arbeiten auf. Er ist Maître de conférences an der Université de Picardie Jules Verne in Amiens, was in Deutschland einem Hochschulprofessor entspricht. Ich habe ihn bis jetzt noch nicht persönlich kennengelernt, was aber vielleicht noch passieren wird.

Das Studiendesign im Detail

An der Studie haben 10 gesunde Erwachsene teilgenommen. Ihr Durchschnittsalter lag bei 23 +/- 4 Jahren. Sie lebten zum Zeitpunkt der Studie an der Goldküste von Queensland, ihr Organismus war also an das Sauerstoffangebot auf Meereshöhe gewöhnt. Ihre Blutwerte sowie Herz- und Lungenfunktion wurden vor der Teilnahme untersucht und für durchschnittlich befunden.

Der Vergleich zwischen konstanter und intermittierender Hypoxie fand jeweils in drei Stufen statt. Bei jeder Stufe wurde auf eine Zimmertemperatur von 24 Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von etwa 55 Prozent geachtet. Alle Tests wurden frühmorgens zwischen 5.30 und 7 Uhr durchgeführt. Die Teilnehmer mussten 12 Stunden nüchtern sein und durften am Morgen nur 250 Milliliter zimmerwarmes Wasser trinken.

Teil 1 der Studie mit Intervall-Hypoxie-Training:

1. Stufe: Für eine Baseline haben die Teilnehmer an 5 Tagen 70 Minuten lang ganz normale Raumluft geatmet.

2. Stufe: Über eine Atemmaske wurden die Teilnehmer mit einem normoxischen Atemgasgemisch an 5 Tagen für 70 Minuten versorgt. Die Teilnehmer erhielten keine Angaben zur Konzentration der Atemgase. Diese 2. Stufe dient als „Sham-Control“, um Einflüsse erfassen zu können, die nicht von sauerstoffreduzierter Atemluft stammen. Damit sollten die gleichen Bedingungen bzw. „same stressor“ für den späteren Vergleich geschaffen werden.

3. Stufe: Die Teilnehmer absolvierten ein Intervall-Hypoxie-Training. In der Hypoxiephase lag der Sauerstoffanteil im Atemgasgemisch bei 10 bis 12 Prozent. Sie dauerte solange an, bis die Teilnehmer eine Sauerstoffsättigung im Blut (SpO2) von 85 Prozent erreichten. Durchschnittlich brauchten sie 4 bis 6 Minuten für die Absenkung. Danach wurde die Atemmaske abgenommen, bis der SpO2-Wert wieder bei 98 Prozent lag. In den meisten Fällen war die Reoxigenierungsphase nach zwei Minuten abgeschlossen. Zwischen Hypoxie- und Reoxigenierungsphase wurde 70 Minuten lang gewechselt.

Nach dem Durchlauf der 3 Stufen wurde 5 Monate abgewartet, also länger als die 120 Tage durchschnittliche Lebensdauer von Erythrozyten. Die Wissenschaftler wollten mit der Unterbrechung vermeiden, dass an den Erythrozyten ausgelöste Effekte einen Einfluss auf den zweiten Studienteil hatten.

Teil 2 der Studie mit konstanter Hypoxie:

1. und 2. Stufe: Die beiden Stufen wurden wie im ersten Teil der Studie durchgeführt.

3. Stufe: Statt eines Intervall-Hypoxie-Trainings erhielten die Teilnehmer eine konstante Hypoxie über 70 Minuten an 5 Tagen hintereinander. Die Sauerstoffkonzentration im Atemgasgemisch wurde so reguliert, dass der SpO2-Wert während der gesamten Trainingsdauer bei etwa 85 Prozent lag.

Die Laboruntersuchungen im Detail

Am Anfang und am Ende der jeweils dreistufigen Studienteile mit intermittierender oder konstanter Hypoxie wurden bei allen Teilnehmern folgende Laboruntersuchungen durchgeführt:

  • Adaptive Prozesse: Zur Beurteilung wurde die Anzahl der Erythrozyten, der Prozentsatz der Retikulozyten sowie die Werte für Hämoglobin (Hb) und Hämatokrit (Hkt) erhoben. Für die Bewertung der Erythropoese wurde ein sogenannter „OFF-Score“ (Erythropoietic stimulation index) in der Studie berechnet. In der Formel für diese Art Ersatzparameter wurde der Hämoglobinwert und der prozentuale Anteil der Retikulozyten verwendet.
  • Maladaptive Prozesse: Für eine Einschätzung wurden bei den Teilnehmern die Werte für Cortisol, das sekretorische Immunglobulin A (sIgA) und kardiales Troponin (cTnT) am Anfang und am Ende der Studie bestimmt.

 

In beiden Studienteilen wurde in jeder Stufe bzw. Woche am ersten, dritten und fünften Tag die Anzahl der Erythrozyten, der Prozentsatz der Retikulozyten sowie die Werte für Hämoglobin und Hämatokrit erhoben.

Die Studienergebnisse aus dem Labor

Die Laborergebnisse aus dem ersten Teil der Studie zeigten eindeutig, dass ein Intervall-Hypoxie-Training adaptive Prozesse auslöst. Bei allen Teilnehmern konnte eine Zunahme der Erythrozytenanzahl beobachtet werden sowie ein erhöhter Hämatokrit- und OFF-Score-Wert.

Ein erhöhter OFF-Score-Wert steht beispielsweise für eine beschleunigte Reifung der Retikulozyten als Reaktion auf das Intervall-Hypoxie-Training. Die Abnahme der Retikulozyten ist eine Komponente für eine erhöhte Stimulation der Erythropoese. Der Prozentsatz der Retikulozyten nahm nach der Sham-Control (-23,6 Prozent) und nach dem Intervall-Hypoxie-Training (-31,9 Prozent) signifikant ab.

Die eindeutigen Hinweise auf hämatologische Anpassungen aus dem ersten Teil der Studie (Intervall-Hypoxie-Training) konnten im zweiten Teil (konstante Hypoxie) nicht beobachtet werden.

Bei den Laborwerten für maladaptive Prozesse gab es bei beiden Studienteilen keine nennenswerten Auffälligkeiten.

Mein Fazit zur Studie

Die Studie zeigt, wie man sich schnell und effektiv für einen Aufenthalt in den Bergen vorbereiten kann. Das Intervall-Hypoxie-Training ist eindeutig die bessere Methode zur Anpassung der hämatologischen Profile an die dünne Luft.

Warum die konstante Hypoxie im Vergleich so schlecht abgeschnitten hat, erklärt die Studie von Wojan und Kollegen. Sie fanden heraus, dass 32 Minuten Intervall-Hypoxie-Training zu ähnlichen EPO-Spitzenwerten führte wie eine konstante Hypoxie bei 120 Minuten.

Was die Studie außerdem deutlich macht: Eine SpO2-Absenkung auf 85 Prozent reicht auch bei jungen, gesunden Menschen vollkommen aus, um gute Effekte zu erzielen. Die Laborergebnisse für die maladaptiven Prozesse zeigen zudem, dass es keine nachteiligen Auswirkungen auf das Myokard gibt. Neuere Arbeiten heben sogar hervor, dass eine moderate Hypoxiekonditionierung nicht nur sicher ist, sondern auch eine kardiale Protektion fördert.

Eine Frage wirft die Studie auf: Warum sank der Anteil der Retikulozyten? Für den deutlichen Abfall nach dem Intervall-Hypoxie-Training wird der HIF-alpha-1-Faktor verantwortlich gemacht. Es besteht die Annahme, dass der Wechsel zwischen Hypoxie- und Reoxigenierungsphase in den Zellen zu einer stärkeren HIF-Anreicherung als bei einer konstanten Hypoxie führt. Die erhöhte Konzentration fördert die beschleunigte Reifung der Retikulozyten, was zu mehr Erythrozyten führt.

Was deutlich schwieriger zu beantworten ist: Warum der Anteil der Retikulozyten schon in der Sham-Control zurückging? In meiner Praxis beobachte ich immer bei Patienten, dass sie in der Normoxiephase Schwierigkeiten haben, wieder eine SpO2 von 98 Prozent zu erreichen. In den meisten Fällen hilft es dann, die Maske einfach abzunehmen. Die Atemmaske könnte ein Grund sein. Der Atemwegswiderstand ist mit der Maske höher als bei der normalen Atmung. Bei vielen Anwendern spielt bestimmt auch die Anatomie der Nase und der Sitz der Atemmaske eine Rolle. Eine richtige Erklärung für das Phänomen habe ich momentan nicht, aber ich werde der Frage nachgehen.


1 Kommentar

  1. Lieber Kollege Dr. Egorov,

    ich bedanke mich recht herzlich für all Ihre sehr informativen, qualitativ sehr hochwertigen Berichte!
    Ich biete seit einem knappen Jahr eine IHHT an und freue mich immer sehr darüber, etwas dazuzulernen. Ich hoffe, dass ich Sie irgendwann einmal persönlich bei einem Vortrag kennenlernen darf.
    Vielen Dank für Ihr Engagement auf diesem Gebiet und dass Sie Ihr Wissen mit uns teilen.
    Ich empfehle jedem Ihr Buch “Zell-Training”, weil ich es wirklich super gut finde und es mich dazu gebracht hat, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen.

    Liebe Grüße aus Düsseldorf
    Dirk Boerner

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